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Richard Anders

Texte & Bilder aus
MARIHUANA HYPNAGOGICA
PROTOKOLLE

Ich sehe wie ein Mund sich öffnet
Ich bin in dem Mund
Im Mund steht ein Fisch vor einer Badewanne
die mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllt ist
Aus den Fliesen kommt ein Gesicht hoch
direkt unter der Heizung
Das Gesicht verwandelt sich
in eine Frau und einen Mann
Das Gesicht ist aus weissem Porzellan
ein klingendes Gesicht
ein Frauengesicht
ein Nasengesicht
Die Landschaft wird rot
das Zimmer rot
Im Zimmer eine Pyramide
die ich hinaufsteige
Die Spitze aus winzigen und auch größeren Steinen
rote Steine
grüne Augen
fließender
durch sich selbst fließender Stein
gelb schimmernd
Im Zimmer die Lampe mit Nadelstrahlen
und die hohe Kupferkönigin
fächert Segel fächert Farne
aus ihrem Fischkörper


Jemand der wie gemalt aussieht
setzt sich mit allen Farben auf den Stuhl
Er wendet mir seinen Rücken zu
durch ein Loch sehe ich sein Gerippe leuchten


Im Zimmer
kriecht über das Parkett ein blinder Teppich
kleine Pelzfinger ausstoßend
ein flunderplattes Teppichtier
das sich mit Kugeln brüstet
die eigentlich aus Glas sind
In ihnen erscheinen Traumfiguren
die sich ihrer Wandelbarkeit rühmen
ein farbiger Strahl aus einem Stengel
in das tiefe Dunkel gesandt
bis dies Augen aufschlägt
zwischen unentschlossenen Schlieren
die zerkratzte Schultafeln hinterlassen
vor denen Schüler pupsen
Jemand mit einem Mantel geschlagen

Ich sehe
ein benetztes Gesicht
schwarz benetzt wie ein Bein
Als hochhackiger Schuh krümmt sich dahinter
eine in blaues Glas eingeschlossene Figur
Die Tupfen auf der Tapete
dienen Gesichtern als Augenklappen
Ein Violett verduftet sich
und hinterläßt
eine weiße Schlohe im Raum
vor der die Mädchen die nackte Hüfte
wegbiegen und lachen

Ich sehe jetzt einen roten Schirm
der von oben betrachtet zu einem Gesicht schrumpft
das wie eine Vulva ein Kind gebiert
das wie aus Schnitzholz brummt
und eine borkige Zunge streckt
an der Wand ein Holzhund
aus dem eine Holzkuh wird
rotes Blattgold hüpft
froschgleich auf dem langen Hals
der sich wie ein Schwanenhals biegt


Ich sehe durch Fenstergardinen unten
in einer Pariser Straße
ein langes U-Boot gleiten
dessen Turm von Lorbeer bekränzt ist
der sich wie eine Schlange
zum Labyrinth windet

Ich sehe ein Kirchenfenster
eine Lampe erscheint
wodurch aus dem Kirchenfenster
sich Strukturen recken
Es sind ziselierte Eisenzungen der Ritter
und fette Frauentorsi
wie von dunklem Metall glänzend
Im froschenen Winkel der Verstrebungen
ein Holzgeschlecht zum Aufklappen
Bewegungen wie die einer getretenen Orgel
erinnern an einen Kerker mit einer Foltersäule
Aus Kunstgebilden werden Kohlelager
in denen blaue Punkte glimmen
Nein es ist eine Urnenbegräbnisstätte
oder ein maurisches Tempelgerippe

Eisenstangen
die sich mir wie Spieße entgegenrecken
sie züngeln wie Pflanzen
sie krümmen sich
Wir sind unter Wasser
in einem gekachelten Zimmer
wo ein Wesen wohnt
das halb Krabbe halb Buddha ist
Jetzt formt es sich zum Sitz
auf dem ein Schokoladenkind hockt

Ich stehe auf dem Balkon meiner Wohnung
unten auf der Straße
öffnet sich das Pflaster
wie ein eiserner Vorhang
Ich gerate in ein Gewirr alter Kulissen
ein Krake
eine Schneelandschaft mit untergehender
Sonne Die Szene verwandelt sich
Im Innern einer Kirche
strahlendes Gewölbe
Verwandlung in einen Raum mit Glasdecke
Säule
Pendeluhr
Ein Spiegel

Ich sehe mich in ihm in einer anderen Gestalt
Der Mund öffnet sich
Ein Raumbehälter ein schmales Bett
ein Tisch auf dem ein Handschuh liegt
im Bett eine Art Burg
oder Patrizierhaus aus weißer Pappe
nein draußen eine Tischdecke
auf einem wachsenden Tisch


Ich sehe ein keulenförmiges Theater
Die Bühnenöffnung
ich sehe ein Gemälde mit vielen Menschen
die sich bewegen
Aus einer Röhre kommen Gestalten hervor
die halb aus Materie halb aus Pflanzen bestehen
so als würde aus einem Baum ein Baumhaus
Mit gelber Farbe bedeckt
eine Waschmaschine
nein viele elektrische Waschmaschinen
ein unterirdischer Kanal eine Walze
Dreck auf einem oben offenen Abflußkanal aus Blech
in dem Wasser strömt...



Texte & Bilder wurden dem gleichnamigen Band entnommen,
erschienen in der edition qwert zui opü, Berlin 1997



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© Richard Anders 1997

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