BILDER & GEDICHTE

Die Adern aus Feuer und Frost

für Asger Jorn

In den ungeschändeten Sphären drehen sich rasend schnell
die Pleuel der Geburt
Die Erinnerung an unsre Gesichter gibt sich planetenhaft
Ich schaue nach rechts und sehe einen Vogel
Ich hebe den Arm und ein Wald ragt auf
Das Erlebnis der Farbe gibt ihren Flammen dem nämlichen
Regen preis
Die Kurven des Sehens Kreuzigung von Insekten
Im Innersten der Vernunft ragen die höchsten Gipfel des Traums
Ich würde meinen Schatten dafür auf die Folter spannen
Wenn der Schatten nicht gerade hier verstummte
Beim Glühen das kein Echo zuläßt
Die Laune des Echos ist nicht der Marmor
Noch die Hand die ihn schneidet zu Bug und zu Büste
Der Traum der Luft das ist nicht der Vogel
Noch das Flugzeug das ihn vervielfacht
Der Traum der Luft das ist die Erde welche ihn einholt und
leugnet
So viel zur blauen Farbe und zur Geraden
Der Fruchtknoten der Gewaltsamkeit erblüht in einem Lachen
Visage der ganzen Welt du erkennst das Rot und den Kreis
in dem was die Geschichte der Menschen Sonne nennt
Im schnellen Brodeln der Schöpfung
Taucht aus einem einzigen Strich aus einem einzigen Licht
Aus einem einzigen auf den Stufen des Blicks gezeugten Raum
Die Arche der vollen Erkenntnis auf
Juli 1949

Der Schlaf der Gerechten

Die Erde hat ihm Knorpel beschert
Die Luft hat ihm einen Kiefer beschert
Das Feuer hat ihm Hörner beschert
Die Luft hat ihm Kiemen beschert
Der Saft der Pflanzen hat ihm das Fieber beschert
Am Grunde seines Schützengrabens
Vollgestopft steif überfressen
Wartet er auf die Pflugschar
1973

Römische Ärgernisse

Für Brutus und Bromulus
in Erinnerung an ihre Gründung

I
Die Wahrheit trat um fünf aus ihrem Brunnen
Sie zog sich nur rasch an
Schon sieht man sie um 5h30 in 'ner Kneipe am Kolosseum
In der Cincinnatus herumschwadroniert
Doch man sagt auch daß die Wahrheit
Aus dem Munde der Kinder käme
Wo sind denn die Kinder geblieben

II
Zum Grunde des Brunnens spazieren die Kinder
Um in Ruhe zu spielen
Dort geht's einem noch am besten
Im Trock'nen:
Die Wahrheit hat alles Wasser des Brunnens getrunken
Um wieder zu sich zu kommen
Cincinnatus kehrt nach Cincinnati (Ohio) zurück

III
In Cincinnati sind alle Brunnen Erdölquellen
Cincinnatus dreht seine Pflugschar
In der Scholle herum
Kehrt dann seinen Pflug gegen den Plebs
Man meldet Fälle von Kindesraub
An den Ufern des Ohio
Und die Wahrheit hat kein Alibi

IV
Rom ist nicht mehr in Rom
Und der Ohio mündet zu Füßen des Tibers
Wo ist die Wahrheit
Wenn die Kinder nichts sagen
In vino veritas
Doch Cincinnatus trinkt fast nicht
Wohingegen die Wahrheit stets durstig ist

V
Denn das Wasser des Brunnens war bitter
Und das Wasser des Ohios schmeckt nach Erdöl
Man rät den Kindern ab es zu trinken
Cincinnatus steigt wieder auf seinen Sockel
Und wirft seine Pflugschar in die Nesseln
Auf dem Felde der Wahrheit
Wo sie eingenickt ist

VI
Wenn die Wahrheit schlummert dann träumt sie
Sie träumt die Lüge falle her über sie
Der Rowdy vergewaltigt sie und gibt sie
Trunkenen Inselchen preis
Die ihrerseits attackiert und getötet werden
Von Cincinnatus und seinen Kindern
Die sie in den Tiber und den Ohio werfen

VII
Es gibt keinen Brunnen der tief genug ist
Um den Zorn derer zu fassen
Die die Wahrheit lieben
Sie sind so viele und so durstig
Die Kinder der Wahrheit und der Lüge
Haben ihnen nicht Wasser noch Wein gelassen
Auf keinem der Kontinente

Moral: Alles muß stets von neuem begonnen werden
Oktober 1999

Übersetzungen: Heribert Becker