Home



NOCH SO EIN DUMMER KRIEG

"Kann wohl des großen Meergotts Ozean / Dies Blut von meiner Hand reinwaschen? Nein, / Weit eh'r kann diese meine Hand mit Purpur / Die unermeßlichen Gewässer färben / Und Grün in Rot verwandeln."

Shakespeare: Macbeth, II,2

Menschen, die polizeistaatliche Gewalt trotzig überleben, neigen dazu, einen etwas quälenden, düsteren Humor zu entwickeln. 1970 saß unsere Freundin und surrealistische Mitstreiterin Haifa Zangana* als Staatsfeindin in Saddam Husseins fürchterlichem politischem Gefängnis Quasir al-Nihaia. In ihren grimmigen, aber poetischen Memoiren erinnert sich Haifa an den Geschmack von Blut in ihrem Mund und an den Anblick von Blut auf ihren Oberschenkeln, an die heißen Tränen, die sie für von der Sicherheitspolizei hingerichtete Freunde vergoß, und an die kühlen, prächtigen Quellen in Kurdistan, der Heimat ihrer Vorfahren, Quellen, deren Gemurmel von Husseins Truppen mit Zement zum Schweigen gebracht wurden. Heute noch sagt sie mit einem unbeugsamen melancholischen Lachen, sie stehe (zumindest objektiv) auf der Seite der Diktatur, die sie gefoltert hat, und gegen die westlichen Regierungen, die feierlich erklären, sie wollten den Irak "befreien".
Wir verstehen Haifas wissendes, bitteres Lächeln. Gegenwärtig sehen sich die Menschen im Irak mit der Aussicht auf das imperiale Streben der Bush-Allianz konfrontiert, ihren von der CIA eingesetzten Despoten mittels einer Invasion und militärischer Besetzung durch die USA zu entthronen, ein Projekt, von dem wir glauben sollen, seine Motivation sei moralische Entrüstung und hochgesinnte, aufrichtige Achtung vor den demokratischen Prinzipien. Solch eine üble Heuchelei wäre fast lustig, wenn die Auswirkungen nicht so katastrophal wären. Seit 1968 ist Husseins Baath-Regime – eine gnadenlose Torturokratie – mit Unterstützung aller Art, u.a. massiven Waffenlieferungen und unermeßlichen Mengen US-amerikanischer Steuerdollars, überschüttet worden. Nach Kuwait heuerten die USA Hussein erneut an, mit dem Abschlachten von Separatisten, Feministinnen und Antikapitalisten fortzufahren, um die Region für die Ausbeutung durch den globalisierten Kapitalismus zu "stabilisieren". US-Sicherheitsberaterin Condoleeza Rice verkündet, ein Angriff auf den Irak zum jetzigen Zeitpunkt werde "dem Vormarsch der Freiheit" förderlich sein; bezeichnenderweise ist Rice die erste derartige Beraterin mit einem auf ihren Namen getauften 136.000-Tonnen-Öltanker der Chevron Corporation.
George Bush und Saddam Hussein sind zwar nicht gerade Tweedledee und Tweedledum, aber die Ähnnlichkeiten zwischen ihnen – in ideologischer und moralischer Hinsicht und als Galionsfiguren des Staates – überwiegen bei weitem die Unterschiede. Tatsächlich sind die Exekutive des Bush-Cheney-Regimes und der herrschende Zirkel der Baath-Partei eindeutig die liebevollsten und innigsten Feinde, die man sich denken kann. Es wundert uns nicht zu erfahren, daß Teile einer kürzlich im Fernsehen übertragenen Rede des beschränktesten Präsidenten in der Geschichte der USA, in der er seine "Ansichten" zur "irakischen Kultur" zum Ausdruck brachte, in Wirklichkeit nahezu wörtlich aus einer 1990 gehaltenen Rede keines anderen als Saddam Hussein übernommen waren, der damals gerade seine eigene Invasion, die nach Kuwait, anordnete. Und es würde uns nicht wundern zu erfahren, daß Saddam Hussein seinerseits etliche saftige Häppchen nichtssagenden Geschwätzes aus Reden des einen oder anderen US-Präsidenten plagiiert hat.
Man irre sich nicht: Bei dem beabsichtigten "Regimewechsel" in Bagdad geht es einzig und allein darum, einen aufsässigen Todeschwadron-Subunternehmer durch einen etwas passiveren und willfährigen zu ersetzen. Eine neue auf den Irak zielende "Polizeiaktion" der Hüter der neuen Weltordnung würde dem US-Kapital einen mühelosen Zugang zu zweiundzwanzig Prozent des weltweit vorhandenen Erdöls verschaffen, was weniger Abhängigkeit von der wackligen feudalen Öl-Oligarchie Saudi-Arabieas bedeuten würde. In unserer Zeit des turbo-globalisierten und völkermörderischen Kapitalismus gehören die �lförderungsindustrien zu den zentralen Dingen, um die sich die internationalen Klassenbeziehungen drehen. Jede Bombe, die in den nächsten paar Monaten auf die Bevölkerung des Irak fällt, wird auch eine furchtbare "Botschaft" an die im Erdölsektor tätige Arbeiterschaft in Gegenden wie der Kaspischen Senke, Angola, Nigeria, Kolumbien und Venezuela sein. Es ist kein Zufall, daß an der Spitze der "Interims"-Regierung in Afghanistan, die die herrschende Clique der Taliban ersetzt hat, ein früherer Berater der �lgesellschaft Unocal steht, der von einem Kontingent US-amerikanischer Green Berets rund um die Uhr vor Mordanschlägen geschützt wird.
Blutbad-Apologeten, Militärdemagogen, Kriegsgewinnler und ihre christlich-fundamentalistischen Einpeitscher belehren uns, daß diejenigen, die außerstande oder nicht willens sind, die verabscheuungswürdige Logik ihrer Politik zu erfassen, schlicht und einfach des schrecklichen Verbrechens schuldig sind, "unrealistisch" zu sein. Wir als Surrealisten betonen gern, daß wir den sogenannten "Realismus" verachten, der einzig und allein auf der plumpen Scheinheiligkeit der geschniegelten Primitivität und der umweltzerstörerischen Gier einer Handvoll hinterhältiger Milliardäre mitsamt ihren politischen/militärischen/journalistischen Jasagern beruht. Ein "Realismus", der von nichts anderem getragen wird als vom schamlos arroganten Verherrlichen der Erniedrigung, von Verfolgung und von miserabilistischer Verdunklung, verdient ganz einfach nur Verachtung, Hohn und Spott.
Wir sagen: Weder ein Krieg der herrschenden Klasse noch ein imperialer Frieden! Der schmutzige, konterrevolutionäre Opportunismus der "realistischen" Realpolitik ist keine Rechtfertigung für industrialisierten Massemnord. Wenn die in der US-Regierung sitzenden Handlanger des Kapitals uns mit der Pseudowahl "Entweder mit oder gegen uns" zu erpressen versuchen, dann weigern wir uns ohne Wenn und Aber. Bei diesem wie bei allen interkapitalistischen Konkurrenzkämpfen stehen wir auf keiner Seite. Unserer Phantasie folgend, schlagen wir eine ganz andere Denkrichtung ein. Wir tun unser Bestes, um Fahnen und Flaggen zu ignorieren und die abergläubischen Bitten um den Segen irgendeines Kriegsgotts mit Hohngelächter zu quittieren, und halten uns statt dessen an unsere Solidarität mit der arbeitenden Bevölkerung des Irak.
Betrübt, aber auch zornig erinnert Haifa Zangana daran, daß auf der Seite der Unterdrückten zu stehen "nicht bedeutet, daß wir nicht um die Komplexität der Situation wissen".
Einem weiteren schäbigen kapitalistischen �lkrieg unverrückbar ablehnend gegenüberstehend, halten wir wir weiterhin die erprobten und verläßlichen Werte des Klassenkriegs hoch: die Selbstemanzipation der arbeitenden Menschen der Welt von der Lohnsklaverei. Um eine der ältesten und intaktesten Losungenden der Bewegung der Arbeiterklasse zu zitieren: Der wahre Feind steht in "unserem eigenen" Land! Und ungeachtet der Vorliebe dieses Feindes für euphemistische Decknamen ("freies Unternehmertum", "Globalisieruns" usw.) ist sein wahrer Name Kapitalismus.
Wir sagen:
Nein zu Bushs Kriegsplänen und der Todesindustrie der Globalisierung!
Nein zur Verfemung der Bewegungen der arbeitenden Menschen! Nein zu "Sparprogrammen" und den "Struktursanierungs-"Diktaten der Welthandelsorganisation, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank! Nein zu Elend und Miserabilismus in allen ihren Formen!
Ja zur Revolte! Ja zur Freiheit jetzt! Ja zur internationalen Solidarität der Arbeiterklasse! Ja zum Leben, zur Phantasie, zur Erde – und zu ihren wunderbaren Möglichkeiten!


DIE SURREALISTISCHE BEWEGUNG DER VEREINIGTEN STAATEN
Oktober 2002

*Haifa Zangana, 1950 in Bagdad geboren, beteiligte sich in den 1970-er Jahren an den Aktivitäten der in Paris ansässigen arabischen Surrealismusgruppe im Exil, deren Zeitschrift, Le D�sir libertatre (Das anarchistische Verlangen) in sämtlichen arabischen Ländern verboten war. In letzter Zeit stand sie in enger Verbindung zur surrealistischen Bewegung in den USA. Ihr erstes Buch, Through the Vast Halls of Memory (Durch die weiten Hallen der Erinnerung), erschien 1991, ist aber inzwischen vergriffen. Sie ist als Schriftstellerin und Collagistin in Penelope Rosemonts Buch Surrealist Women: An International Anthology (University of Texas Press, 1998) vertreten.

Übers.: Heribert Becker


Zurück zum Seitenanfang