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Heribert Becker

In den Wäldern der Raserei

In den Wäldern der Raserei
sagte sie
ist man oft so allein
der Distelwind fuhr brüderlich ihr übers
feuchte Haar
der gelbgefleckte
wilde Schürer der Glut
und während das Lederauge der Sonne
langsam nach hinten kippte
stieg aus den bebenden Hecken
ein fleischgefütterter Schrei
rot
in den Schoß
der Nacht




H. Becker, Atheistisches Abendgebet, Federzeichnung 1994

Ob ihr's glaubt oder nicht

Erst gestern wuchs ein schöner Baum aus mir
ob ihr's glaubt oder nicht
Seine Wurzeln waren mein Sonnengeflecht oder umgekehrt
Scharen seltsamer Vögel mit goldenen Schnäbeln
lärmten in meiner Brust wie eine tosende Brandung
und eine Art Abendwind prall gefüllt mit Weizenfeldern und
     Sonnenstrahlen
strich mir erfrischend durchs Hirn
Ich vergaß das bißchen das ich bin
und begann zu singen mit einer Stimme
in der sich das Röhren der Hirsche mit dem Knistern des
     wachsenden Maiskorns vermengte
Es fehlte nicht viel und ich wäre an all dem erstickt
wie in einer zu heißen Badewanne
Doch da legten zehn weiße Finger sich eisern um meinen Hals
eine Axt glitt nahe vor meinen Augen vorbei
und als ich sie aufschlug
lagen vor meinen Füßen
Tausende welker Blätter

 


Sei unbesorgt

Der Tag entsteigt seinen Wunden
Fieber des Abends Lichtagonie
Die Zeiger der Turmuhr fallen
lautlos ins feuchte Gras
Sei unbesorgt
die Küsten sind nah
die rettenden Ufer der Nacht
Und morgen leben wir unbeschwert
von Schmetterlingen und Küssen



© Heribert Becker


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