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Cap Corse, Peter Schneider-Rabel 2000




ERVIN LÁZÁR
Alle aus dem Ungarischen von Kristóf Szabó




Dieser Mensch, der entgegenkam, hatte überhaupt keinen Kopf. Wie ein Haus, wie ein Gasbehälter, wie ein Gurkentransportwaggon.
Dörr-bömm-dörr, er stampfte auf Bergkämme und Städte. Das heißt, er hatte gar nicht einen so großen Kopf. Nur, wie ein Kartoffelkochdämpfer, wie ein Laugbottich, wie ein Abbrühkessel.
Bimm-bumm-bimm, er tritt auf Flüsse, Brücken, Auen. Eigentlich hatte er einen kaum größeren Kopf, als normal.
Wie ein stattlicher gemeiner Kürbis, ein rosa Luftballon, eine aufgepustete Ochsenblase.
Tschirr-tschörr-tschirr, er tritt auf Häuser, Blumengärten, Spielplätze.
Wir können auch sagen, sein Kopf war von normaler Größe. Wie deiner, meiner, oder ihrer.
Tipp-topp-tipp, er tritt auf Hirtenhunde, Scheunen, Weizenfelder.
Sein Kopf war gar nicht von normaler Größe. Er war kleiner. Wie eine Konservenbüchse, wie eine Gurke, wie ein größer gearteter Apfel.
Chiß-choß-chiß, er schlufte auf Ferkelchen, Klatschmohne, Hemdchen.
Freilich, er hatte einen ganz kleinen Kopf.
Wie ein Nadelkopf, wie ein Mohnkorn, wie eine Kleiderlaus .
Schitj-schutj-schitj, er schritt einher auf schöne Formen, Blumenduft und Träume.
Dieser Mensch, der entgegenkam, hatte überhaupt keinen Kopf.

Ein Herr mit grünem Stößer*

Lachertiolainen Tschongulinsurjan fiel mir im Regen ein. Es war ein feinkörniger Regen, das Passende für einsame Menschen. Hierzu gehört auch noch die Óhegy Straße. Und die Nacht. Besser gesagt, die Nacht in der Óhegy Straße. In der Óhegy Straße sind nämlich die Nächte gänzlich anders als irgendwo sonst auf der Welt. In dieser Nacht trug ich sehr viele Steine in mir. Meine Steine, anderer Leute Steine. Und Regen, Regen, Regen. Gewöhnlich pflegen die Bäume und die Leitungsmasten mich auf dem Nachhauseweg zu grüßen. Und die Laternen auch. Jetzt: die Bäume unterm Regenschirm, die Leitungsmasten im Gummimantel, die Laternen brannten nicht einmal.
Ich wusste, gleich zu Hause angekommen wird es auch nicht besser sein. Der Schlüssel knirscht feindselig, holpernd öffnet sich die Tür. In meinem Zimmer begrüßen mich ein leeres Blatt, ein kopfüber gedrehtes Bild und eine grinsende Aufschrift:

TSNEIDSGNUTTER, RHEWREUEF, IEZILOP.

Man müsste sich auf den Bordstein setzen - sprach ich leise bei mir - und gar nie mehr aufstehen.
Und in diesem Augenblick fiel mir Lachertiolainen Tschongulinsurjan ein.
Herr Tschongulinsurjan geht gerade durch das Gelände des alten Müllplatzes, meinte ich. Er geht um die Stängel des Unkrauts. Er pfeift vor sich hin. Er ist mit einem eleganten schwarzen Jackett bekleidet und mit einem grünen Stößer. Jetzt gelangt er aus dem Unkrautmeer hinaus. Im gestreuten Licht entziffert er die Aufschrift des rostenden Schildes, das neben dem Müllplatz angebracht war

DAS ABLADEN VON MÜLL IST VERBOTEN!

Er kichert. Worüber amüsiert der sich. Was ist schon so komisch dabei: Abladen von Müll verboten!? Zugegeben, ich beginne auch zu kichern. Dieser Lachertiolainen Tschongulinsurjan! Na, steh nicht dort so herum - denke ich: Wenn du schon dort so rumstehst, komm her! Da kommt er auch. Ich meine, er kommt jetzt.
Schon mag er an der polnischen Kapelle entlanggehen, an der Statue der Maria. Vielleicht lüftet er auch den grünen Stößer. Entweder schleicht er sich am Saum des Zauns entlang, oder er trippelt draußen, inmitten der Fahrbahn. Man kann es nicht wissen. Jedenfalls, er kommt. Jetzt mag er einem nächtlichen Passanten begegnen. Er lässt sich nicht beirren - denn ihn bemerkt ja eh gar kein Passant. Lachertiolainen Tschongulinsurjan ist nämlich auch samt seines Stößers lediglich sieben Zentimeter groß. Ohne den: fünf. Er kommt also vergnüglich. Freut sich auch über den Regen. Regenperlen glitzern auf seinem grünen Stößer. Herr Tschongulinsurjan zündet sich nun eine Zigarre an. Tastet seine Taschen ab. Er blüht. Hat noch alles dabei. In seiner linken Hosentasche ein so großes, buntes Taschentuch, wie die Takla Makan Wüste, in der Rechten eine Turmuhr, in seiner Gesäßtasche einen Weißdornbusch, in seiner Uhrentasche Schlüssel, Nägel und Zugvögel. In seiner linken Jackett-Tasche das Königreich Nepal mit seiner Hauptstadt, mit Katmandu und mit all seinen Bergen, in der rechten eine uralte, aus Holz hergestellte Zwirnspule. In seiner Innentasche ein Superhopp und acht Sachen, ohne dass er selbst wüsste, was diese sein mögen. Um seinen Hals, an einer Büroklammerkette, wie ein Medaillon, hängt die Insel Madagaskar. Antananarivo ist über seinem Brustbein.
Jetzt sollte er die Márga Straße verlassen haben - dachte ich -, langsam kommt er hier an, und ich stiere steif auf den Asphalt: Kleine Regentropfen - große Regentropfen - Explosionen. Nachdem eine halbe Stunde verstrichen war, war er immer noch nicht da. Vielleicht habe ich mich geirrt, vielleicht kommt er erst jetzt durch das Unkraut des Müllplatzes. Während eine neue halbe Stunde verstrich, traf er immer noch nicht ein, aber meine Laune, sie hat sich deshalb noch nicht verschlechtert. Warum hätte sie sich auch deswegen verschlechtern sollen, ich wusste ja: Lachertiolainen Tschongulinsurjan war unterwegs zu mir.
Ich bin nach Hause gegangen. Ich legte mich hin, konnte aber nicht einschlafen. Großer Gott, fiel mir ein, möglicherweise tritt er schon auf der Stelle, hier vor der Tür. Ich stürzte hinaus, aber da war niemand. Die Klingel!, kam es mir plötzlich in den Sinn. Der Ärmste könnte hier stehen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag! Er kann die Klingel nicht erreichen. Ich besorgte Zangen, einen Hammer, Drähte. Zum Morgengrauen stand das große Werk: Der Klingelknopf war auf dem Türrahmen fünf Zentimeter über dem Boden. Jetzt kannst du kommen, Lachertiolainen Tschongulinsurjan. Ich warf mich rücklings auf mein Bett. Seitdem liege ich hier und warte. Ich bin mir sicher, einmal wird die Klingel ertönen. Lachertiolainen Tschongulinsurjan kommt herein, von seinem grünen Stößer schüttelt er das Wasser ab, nimmt Platz am Rand meines Aschenbechers und sagt: Ich bin da, alter Junge! Die rechte Tasche seines Jacketts bauscht sich ein bisschen. Kein Wunder, in ihr ist der halbe Himalaja.

* Hut des Fiakers in Österreich




Zwievigevespräväch

- Kargannst durgu sorgo rergedergen?
- Nergain.
- üvund sovo
- Avauvuch nivicht.
- Davann kövönneven wivir nivicht miviteveinavandever revedeven.
- Davas ivist havalt sovo.




© Ervin Lázár / Kristóf Szabó



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