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WOLDEMAR WINKLER


– Surrealismus –

Auszüge aus einer Rede, die der Künstler 1990
anläßlich der "Surrealisten Ausstellung"
in der BAUKUNST-GALERIE in Köln gehalten hat.




Sich über Surrealismus zu äußern, ist ein überaus schwieriges Unterfangen. Schon manches wurde darüber gesagt ohne den allerdings verschleierten, vielschichtigen Kern wirklich zu lüften. Es wäre auch eine Anmaßung, sagen zu wollen, was er wirklich ist. Schon eher, was er nicht ist...
Der Surrealismus ist kein Kunst-Stil; womöglich noch durch akademische Schulung erreichbar. Viel eher ist er eine geheimnisvolle Kraft des archaisch-mystischen Unter- und Vorbewußten. Daher die erstaunlichen Reserven der Rückerinnerung an vergangene Ewigkeiten, mit dem Blick auf die imaginäre Zukunft. Der Surrealismus ist eher eine katalysierende Kraft die der Kunst immer wieder neue Türen öffnet; zu Räumen, die uns Strahlendes - Schreckliches - Phantastisches - Erlösendes und Himmlisches erblicken läßt, wie wir es uns mit unseren an das Alltagssehen gewöhnten Augen nicht vorzustellen vermögen. Das sind Gefühle, die sich nicht nur in der Kunst zeigen, sondern sich ebenso in anderen Lebensbereichen prophetisch äußern können. Nicht selten haben es Autodidakten leichter, in der Kunst etwas von dem Besonderen dieser Sender einzufangen. Leichter als Menschen, die mit dem Ballast vielen Wissens und Könnens behaftet sind. "Den Seinen gibt's der Herr im Schlaf". Sie haben es. Sie haben es mit elementarer Selbstverständlichkeit wie die Kinder. Sie müssen es sich nicht mühselig erwerben.

Der Surrealismus ist eher eine zu gewissen Zeiten sich verändernde Weltanschauung spiritueller Art. Ich glaube, wir erleben z.Zt. eine solche in Europa. Greift da einer unvermittelt unter eine weltanschauliche Versteinerung? Schießt da eine Schlange hervor, die uns zunächst erschreckt, sich aber schließlich als seltene Klugheit entpuppt; als die alte Schlange der Weisheit und der Mystik, die sich symbolhaft in den Schwanz beißt und die uns in der Schrecksekunde Unglaubliches ahnen läßt.

Immer wieder, oft nach langen Zwischenpausen, hat das surreale Element in der Kunstgeschichte befreiend und erneuernd gewirkt; schwankend zwischen deutbarer Imagination und nonfigurativer Darstellung. Man muß sehen lernen, um zu wissen, daß sich solche erschreckende Wahrheiten zuweilen bewußt tarnen und verstecken in allen Kunstrichtungen. Es will von inneren, wissenden Augen entdeckt sein. Der Surrealismus dürfte ein Element sein, daß das Ursprüngliche, aber Verschüttete, Verkrustete wieder belebt, das zumeist dann wirksam wird, wenn es kaum noch erwartet wird.

Wer Illustrationen, Darstellungen, profane oberflächliche Geschichten erwartet, dem versagen sich solche Bilder, weil sie Gebilde und Gefüge, nicht Darstellungen, nicht Abbilder sein wollen. Der Surrealismus ist keine Wissenschaft und läßt sich auch nicht durch sie ergründen. Alle Menschen aber haben durch ihre ähnlichen, sinnlichen Gefühle Antennen, die das Rätselhafte, geheimnisvolle Schimmern in der Kunst übertragbar machen, wobei der Surrealismus als Katalysator hilfreich sein kann.

Die Vielschichtigkeit des Surrealismus, die ihn zum Glück nicht zum Kunststilwerden läßt und die äußerlich durch kluge Lenkung Bretons zusammengehalten wurde, mußte sich naturgemäß noch dessen Tode auflösen. Die bleibenden, tieferen Zusammenhänge werden nur von wenigen gesehen und seine Verstecke meist nicht erkannt; dazu kommt noch, daß sich von drittklassigen "Künstlern" in breiter Bahn ein Pseudo-Surrealismus billigster Art breit gemacht hat unter äußerer Formübernahme. So kommt zum Überdruss süßer und saurer Kitsch, sowie Gruselangst dazu. Nur wie er sich räuspert und wie er spuckt, das haben sie dem Surrealismus abgeguckt. Ein Grund mehr, für Echte, Empfindende - gleich ob Künstler oder Betrachter, sich von solch dünner Sauce abzusetzen.

Großes Geschrei in der Kunstwelt:
"Wo ist der Surrealismus?" - "Der Surrealismus ist tot".
"Der Surrealismus hat versagt" - "Wir wußten es vorher",
schreien die 9 x Klugen, die immer schon nur mit dem Gehirn
anstatt mit den Augen sehen wollten oder konnten.


© Woldemar Winkler, mit Genehmigung der Woldemar-Winkler-Stiftung Gütersloh




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