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Milan Nápravník: Der Bischofsstab, 1983


Milan Nápravník

Assimilation


Für Lenka


Seht die Frau erschaffen aus Milch
Aus Kupfer und Ruß
Die auf ihren zarten Armen
Ein neugeborenes Kind von Tausenden von Hoffnungen wiegt
Die Augen in die eigenen Tiefen getaucht die voller Geheimnisse sind
Denen heimtückisch ein stickiges Lachen entsteigt
Und Grausamkeit
Noch nicht entfaltet (erst Knospe künftiger Grausamkeiten)
Doch schon heute erfolgreich an den wackligen Toren aller morschen Behausungen rüttelnd

Seht die Frau erschaffen aus Kupfer Ruß
Und Milch
An ihren weißlichen Armen rankt sich der wilde Wein der Liebe empor
So mächtig
Und so bindend
Daß er jedem an dem er sich festkrallt tief ins Fleisch einschneidet
Haut man ihn hinein so quillt aus ihm die schwarze Lava der Leidenschaft
Weiß von Glut und von der Kälte der puren Inbrunst
Haut man in sie hinein so stirbt sie
Ihr eigenes Opfer
Den betäubenden Duft des lange und sorgsam geheimgehaltenen Spiels
Der perlmuttbesetzten Selbstbeherrschung verströmend

Seht die Frau erschaffen aus Ruß aus Milch und Kupfer
Deren Liebkosung immer wieder auf ewig ohnmächtig wird
Mit dem Gefühl unlöschbaren Durstes
Unversponnenen Garns
Mit einer Begierde die voller Hohlräume ist
Sie kleidet sich langsam aus in ihre Nacktheit sich kleidend
Wendet sich langsam um
Steht still
Läßt langsam bleiche Rosen von den rosigen Knospen ihrer Priesterinbrüste fallen
Und stürzt sich jäh ohne Schrei rücklings in die Träume
Mit einem triumphierenden Lächeln der Allwissenheit in den Augen
Mit der blauen Flamme der Begierde zwischen den Zähnen
Mit einem Schoß den der heiße Schlüssel der Wollust geöffnet hat
Entschlossen auch das Leben zu empfangen
Und es auf Gedeih und Verderb den Händen des tödlichen Lebens auszuliefern

Seht die Frau erschaffen aus Milch
Aus Kupfer
Und Ruß
Es ist Zeit sie auszutrinken
Und zu sterben



Aus: Der Wille zur Nacht, 1980
Objekt oben: Der Bischofsstab, 1983

© Milan Nápravník




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