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Pierre Molinier: Erotische Photographie





Milan Nápravník

Traumbilder

Als ihr zarter Betonkopf
An eine Hagegebuttenrute sich lehnend zerfällt
Fehlt ihrem Gesicht voller Schotter
Voller Insekten
Und vom Regen zertrümmert
Selbst die geringste Spur von Mund um lächeln zu können

Es herrscht hier Abend und Frost
Weissagungen des Windes brausen ihr im Ohr
Dornen grausamer Gerten zittern vor Sehnsucht
Und eine einsame Heckenrosenknospe
Eine schwärzliche raschelnde Knospe ohne Duft
Eine Knospe aus rotem Fleisch und verkrustetem Blut
Ziert einen Riß ihres Helms

Man spürt noch den Geruch verbrannter Nägel

Sie hob die Augen und sah eine Mauer

II.

Ein bleierner Vogel von Sorgen schwer
Gerade hat er zum Zeichen der Trauer den Kopf zurückgeworfen
Da öffnet sich langsam die kleine Tür in der Mauer
In der Mauer aus Haar
Und ein bleicher Sarg
Voll zertretener Därme gleitet aus ihrem milchigen Schatten

Es ist stockdunkel
Überall duftet's nach Blut
Aus rissigem Fenstergesimse regnen nur alte Zähne
Von schwarzem Moos überzogenes Pflaster
Erbebt von den Stößen des unterirdischen Herzens
Und die schweißnasse Nacht auf dem Bahndamm liegend
Spreizt brünstig die Gleise
In fieberhafter Erwartung des näherkommenden Zugs

Unterdessen entschwindet der Sarg
Der Bleivogel sinkt in sein Gefieder
Der Vogel der morbiden Dämmerstunde
Er folgt ihm treu mit dem Blick
Er folgt ihm treu bis zur Brücke
Er folgt ihm treu bis er vom Nebel verschlungen
Einsam
Zwischen den Zäunen der Träume stirbt

III:

Wie lang ist es her
Daß ein Schatten seinen Mann geworfen hat
Um ihn in diesem feuchten
Nicht wachsenden Schattengarten
Umherirren zu lassen

Ein Mann geschaffen vom Licht
Frucht dieser Mondnacht
In dessen Brustkorb ein hungriges Spinnenweibchen nistet
Ein Mann allein ein Traum in seinem Wahn
Sooft er stürzt
Beißt sich sein Innengast fest
In seinem Herzen
Um gierig an seiner Finsternis zu saugen

Wie lang ist es her

Auch wenn er seinen Kopf mit den Wurzeln herausreißt
Er erinnert sich nicht
Der Wind klaubt ihm weiße Wortblättchen
Von den greuelbefleckten Lippen

IV:

In Schaudern und Krämpfen
Nackt und triefend vor Schweiß
Rüttelt sie entsetzt an dem weißen Metallstuhl
An den man ihr die Hände band
Fürchterlich bebt sie mit dem Bauch
Aus ihrer Scheide spritzen mächtige Ströme von Blut
Und ihr erschreckendes Heulen prallt heftig
In vielfachem Echo
Von den Wänden
Vom Gewölbe dieser einsamen Kirche zurück
Wie ein rasender Schwarm von harten Gummibällen

Derweil sucht eine halbierte Heilige regungslos nach Läusen
Die Pfeiler schwitzen vor konvulsivisch-gotischer Lust
Die frommen Bänke verwachsen mit Gras
Irgendwo ertönt ein Glockenschlag
Und die Gebärerin der Nacht

Stößt mit letzter Kraft
Eine lebendige Rose aus ihrem Leib

Es tritt Stille ein

Etwas hat zu trinken begonnen

V.

Als sie naht
Mit einer Lampe in der Hand mit einer Flamme in der Lampe
Durch die dichten Schleier des Traums
Vermag sie nicht die Lust der weißen Zähne zu verbergen
Die hinter ihren spaltweit geöffneten Lippen
Vor Sehnsucht klappern

Es ist die Stunde der Stille
Über das Wehr des nahen Flusses schäumt Blut
Im nassen Gras zerfallen schwarze Blätter
Unter ihren Füßen
Und ein grotesker Wecker auf einer Ziegelmauer
Mißt unweit mit lautem Ticken die Zeit

Ein Schuß fällt in der Ferne
Biiime erzittern vor Kälte
Am anderen Ufer lacht jemand auf vor Angst

Sie entfernt sich
Geht fort
Doch die Lampe läßt sie im Gras zurück
Damit dieser Ort der Ödnis
Sie geht als möglich sichtbar bleibt

VI.

Es tagt zum zweiten Mal an diesem Morgen
Über den Trümmern der Wiese
Wie einige Porzellanstatuen mächtiger Priester stehen
Mit steifen Gliedern
Mit Heringsköpfen
Mit Hämmern und Sicheln anstelle der Hände
Mit leeren Blicken die weich gewordene Harfe anstarrend
Die auf der Bühne eines Leinentheaters
Am Rand des vom Regen zerfetzten Waldes stirbt

Es tagt zum zweiten Mal
Alles beginnt von vorn
Und die Hand die eine Kerze hochhält
Erlahmt beim Anblick des Hundes
Des verdienstvollen Geschwüreträgers
Der unter den Klängen
Eines munt'ren Protestlieds der Liederlichkeit
Und beim kampfeslustigen Donnern der brechenden Herzen
Gierig das Fleisch
Eines frisch geschlachteten Revolutionärs
Verschlingt

VIl.

Nur der Wind rüttelt am Haustor
Der Junge aber
Flüchtet entsetzt mit seiner abgehackten Hand
Den Flur voller Blattwerk entlang
Über die Treppe aus Fleisch
In das Schlafgemach voller Träume
Worin betäubende Stille herrscht

An der Südseite blühen Sonnenblumen
An allen Wänden flüstern Tapetenfetzen Fetzen von düsteren Sätzen

Der Kaminspiegel wechselt Gesichter
Das Buch der Nacht erhebt sich
Und fliegt träge auf wie ein alter Geier
Um sich mit Schreckensschreien in der Ferne zu verlieren
Im dunkelsten Winkel der Endlosigkeit

Es ist Nacht
Nur der Wind bläht die Vorhanghäute
Das faule Fensterloch enthüllend
Hinter welchem ein Blutmeer seltsam wogt
Und der Junge seine abgehackte Hand zur Ruhe bettend
Lächelt
Mit hungrig gefletschten Zähnen
Als er die starren bleichen Finger anstarrt
Die ein Büschel geduldig brennenden Grases umklammern



© Milan Nápravník, Heribert Becker (dt. Übersetzung)




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